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Wiesbadener Etüden

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Kontakt - Russischsprachige Wochenzeitschrift
Mittwoch, 13. Juni 2001 
Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsche. 

von Olga Fefer

Die Höfe der Stadt ruhten. An den Café- Tischen setzten sich die ersten Besucher zurecht. Jungen, die Schultaschen möglichtst weit weggeschleudert, jagten den Ball über die Straße und geschäftig zwitscherten die Spatzen.  Gerade in dieser nachmittäglichen Zeit begann das vergnügliche und interessante Leben. Gedämpft klang aus einem der Fenster Rossini und, den Geigen und Violoncellen folgend, glitten Pinsel und Bleistifte über Staffeleien, unvergleichliche Klangverbindungen, Phantasien und Träume auf dem
Papier hinterlassend.

       Im Atelier von Roman Eichhorn hat die Arbeit erst begonnen. Erwachsene und Kinder, Einheimische und die, die erst seit einigen Jahren in Deutschland leben, kommen zusammen, um die Geheim-sprache der Kunst zu erleben. Sie wollen ihre eigene, innere Welt und ihr Verhältnis zur Umgebung durch Form und Farbe auszudrücken.

      So erwachen auf den Bildern märchenhafte Tiere zum Leben, öffnen abstrakte Städte ihre Tore und faszinieren auf den Aquarellen saftige Früchte. Die Arbeiten der Schüler, Ausführungen in verschiedenen Stilen und Techniken – von Bleistiftskizzen und in Öl gemalten Kompositionen, bis zu Gipsfiguren und Linolschnitten – schmücken nicht nur die Wände des Ateliers, sie sind auch das Ergebnis kreativer Suche und Entdeckungen ihrer Autoren. Lassen Sie uns einige von ihnen näher kennen lernen. Den 14–jährigen Anton Wasilenko, aus Kasachstan hierher gezogen, kann man ohne weiteres zu den Alteingesessenen zählen. Der Junge wurde von seinem Vater zur Kunstschule gebracht und fand Gefallen am Malerei. Er kommt in die 9. Klasse eines Gymnasiums, mag Volleyball, hört gerne schweren Rock, baut Modellflugzeuge und... zeichnet Skelette. Für einen Beruf hat sich Anton bisher noch nicht entscheiden können, doch im Zeichnen macht er Fortschritte und erreicht gestellte Ziele. Es ist erstaunlich, mit welcher Ausdauer und Standhaftigkeit Christina Loos arbeitet. Mehr als einen Monat saß sie an der Entstehung eines Comics, bei dessen Fertigstellung die Bildergeschichte eines märchenhaften Einhorns das Licht der Welt erblickte.

      Ein Werk Wilfried Sarajskis errang in einem der Städtischen Wettbewerbe den 1. Platz. Seine Schwester Liliane bemüht sich, ihrem Bruder in nichts nachzustehen. Anna, 18 Jahre alt und Schülerin der 12. Klasse eines Gymnasiums, zeichnet, seit sie einen Bleistift in der Hand halten kann. Der Unterricht in der Kunstschule kann ihr möglicherweise auch für die Zukunft nutzen – sie träumt davon, Designerin zu werden, so wie ihr älterer Bruder. Außerdem hört sie gerne Musik, lernt Sprachen und bevorzugt englische Literatur. Für mich war es besonders interessant, Annas Meinung über den Lehrer zu erfahren, da sie mit Roman Eichhorn nahe Verwandtschaft verbindet. Der Papa sei ein gutmutiger und geduldiger Pädagoge, dem es gelinge, seine Schüler zu verstehen und gut mit ihnen auszukommen, gab die Tochter zu.

      Natürlich wollen auch einige Worte zum Organisator der Schule selbst gesagt sein. Roman Eichhorn wurde in der Nähe Zelinograds geboren, schloss die Fachkunstschule in Frunse sowie die Surikow Kunsthochschule in Moskau ab und war Meisterschüler an der Kunstakademie. Seit 1991 lebt er in Deutschland. Nach den ersten Jahren der Orientierung und der Integrierung kam dem Künstler die Idee einer eigenen Schule. So erschienen im Jahre 97 seine ersten Schüler. Und es ging nicht ohne Schwierigkeiten, sich zum Beispiel vom praktischen Künstler zum theoretischen umzustellen, der fähig ist, den Schülern das Material zugänglich und verständlich zu erklären, einen Lehrplan aufzustellen und den Zugang zu den zukünftigen Berühmtheiten, die heute ganze Tuben  von Farbe auf der Leinwand verteilen, zu finden. 

      Von August bis September findet in der  Galerie im Verwaltungsgericht der Stadt Wiesbaden eine Ausstellung eben diesen Künstlers statt, gewidmet seinem 10 – Jährigen Schaffen auf deutschem Boden. Neben neuen Themen und Sujets sieht der Besucher den Dreiteiligen „Gruß aus Kasachstan“, Bilder aus der Reihe Familiengeschichte sowie Erinnerungen aus der Vergangenheit, die uns so oft an uns selbst erinnert...